Fux · Fährten
Der Mann lehnt in einem Türrahmen hoch oben zwischen den Fassaden von Berlin. Weiße Hose, weiße Schuhe, ohne Hemd, ein Kettchen um den Hals verkörpert er eine Jugend, die im Kontrast steht zu den runzeligen, schorfigen Häusern, die seit einem halben Jahrhundert auf Sanierung harren. Sie bedeuten Stillstand, während der junge Mann in eine für uns noch unsichtbare Zukunft blickt.
Heute können wir zurückblicken und sehen die Szenerie mit anderen Augen. Der Stillstand, der damals vielleicht lähmend erschien, hat etwas Versöhnliches und Wehmütiges angesichts jener Zukunft, die dreißig Jahr später auch schon Vergangenheit ist und die die einst ersehnte Sanierung brachte, die alles verändern sollte. Das Bild war damals Lebensgefühl einer neuen Generation, heute ist es historisch.
Von dieser Fotografie zu den aktuellen Studioaufnahmen von Andreas Fux ist es ein langer, aber konsequenter Weg. Den fast zärtlichen und respektvollen Umgang mit dem Gegenüber hat er sich bewahrt, doch die scheue Annäherung ist einem anderen Grundgefühl gewichen, dass sich als kalkulierte Ekstase beschreiben lässt.
Seine Sitzungen, in denen er seine Modelle in sanfte Helligkeit taucht, dauern ganze Nächte, werden akribisch Vorbereitet, gehen in sensibilisierter Hochspannung über die Bühne und folgen einer Dramaturgie, bei der Überraschungen eingeplant sind, auch wenn der Fotograf nebenbei versucht, die Bilder, die ihm vorschweben, Realität werden zu lassen. „Ich bin ja so gar nicht gläubig, aber diese Treffen haben etwas Heiliges jenseits der Religion.“ Es klingt vielleicht ein wenig pathetisch, wenn Andreas Fux so von den Begegnungen spricht, denen er, in ein wenig nervöser Erregung, entgegensieht, aber das ist in Wahrheit die präziseste Beschreibung dessen, was sich ereignet. Er löst die Menschen aus ihrem Umfeld, stellt sie ‚frei‘ und ist bestrebt, nicht nur den Raum, sondern weitestgehend auch die Zeit aufzuheben.
Oft über Jahre begleitet Fux seine Modelle, die sich vor seinem Objektiv verwandeln, altern und die neuen Tätowierungen beiläufig präsentieren. Beiläufig, weil meist weit mehr passiert als nur die Abbildung eines Status quo. Denn die Fotografien sind Ergebnisse von Performances, die nicht nur Bilder, sondern auch Gefühle transportieren wollen und immer wieder den Schritt von der Inszenierung zur Überschreitung der Inszenierung tun, von der Show zur fiebrigen Halluzination. Ihre Kraft liegt im vermeintlichen Widerspruch zwischen der unterkühlten Glätte der Oberfläche und dem Bedürfnis der Modelle, diese zu durchbrechen, um sich zwischen Rausch und Narzissmus ihrer selbst zu vergewissern. Sie lassen etwas aufblitzen von der existenziellen Selbstbehauptung in unserer Gegenwart, in der tagaus tagein im Trubel der Einkaufsparadiese schicker Antikonformismus als bequeme Konfektionsware von der Stange zu haben ist. Das ist die gepriesene westliche Toleranz, die nur darauf gerichtet ist, mehr zu erlauben, um mehr Konsum möglich zu machen.
Vielleicht fotografiert Andreas Fux auch deshalb lieber in der Nacht. Seine neuesten Bilder scheinen diese Nacht noch deutlicher zu zelebrieren und in ihr die scheinbar flüchtige Begegnung von Körpern und Licht. Aus schwarzem Hintergrund treten diese Körper hervor, als sei die Dunkelheit ihr Zuhause, als sei es lediglich ein kleiner Schritt nach vorn in den Strahl des Spots, ein kurzes Posen in High Heels auf einem nächtlichen Laufsteg ohne Publikum, oder das somnambule Schweben eines Nachtwandlers auf dem First eines Daches, den man sich sofort unter den nicht mehr sichtbaren Füßen vorzustellen bereit ist. Vielleicht ist der Typ, der immerhin den Schriftzug ‚God was here‘ über dem Schwanz trägt, aber auch ein moderner Jesus, der „im letzten Viertel der Nacht“, wie es in der Bibel (Matthäus 14, 25) heißt, zu seinen Freunden übers Wasser kommt, um ihnen zu sagen: „Fürchtet euch nicht!“
Die schwarzen Bilder modellieren, weit mehr als die weißen, die Körper, sie heben Adern, Rippen, Muskulatur hervor, sie machen die Fotografien zu Visionen und lassen das, was sie sichtbar machen, besonders plastisch und zugleich besonders vergänglich erscheinen. Ein Schritt der Nachtgestalten zurück ins Dunkel, und das Bild wird wieder leer sein.
Boris von Brauchitsch
Ausstellungseröffnung in Anwesenheit des Fotografen
Freitag, 26. Mai 2017 · 18.00—20.00 Uhr